„Jedes Mal, wenn wir eine unserer Lieblingsgeschichten wieder einmal „aufwärmen“, versuchen wir in Wirklichkeit, die Emotionen zu verstärken, die wir mit diesen Geschichten und Erinnerungen verbinden.“ - Dr Joe Dispenza
Veröffentlicht im April 2022
Kürzlich wollte eine Frau mit mir darüber reden, dass wir die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, loslassen können – und dadurch eine neue Zukunft erschaffen. Sie hatte miterlebt, wie jemand eine starke körperliche Reaktion auf diese Vorstellung zeigte – sein ganzer Körper bekam einen Ausschlag – und sie selbst hatte auch schon solche Reaktionen gehabt.
Allein der Gedanke daran, eine vergangene Geschichte aufzugeben, schien schon eine starke körperliche Reaktion hervorzurufen, und zwar in Sekundenschnelle.
„Warum fühlt sich das für die Leute so unangenehm an?“ fragte mich diese Frau. „Warum hat man das Gefühl, diese Geschichten loszulassen sei ein radikaler Schritt?"
Die Geschichten, die wir uns selbst erzählen – über unsere Erinnerungen, unsere Vergangenheit und unsere Kämpfe, unseren Umgang mit bestimmten Menschen, Objekten und Dingen – sind uns vertraut; sie sind also sozusagen das Bekannte. Wir identifizieren uns mit ihnen; sie werden zu dem, wer wir zu sein meinen – und letztlich zu unserer Persönlichkeit.
Das liegt daran, dass das Wiedererleben der Vergangenheit die immer selben Schaltkreise auf die gleiche Art und Weise aktiviert und vernetzt – und unseren Körper sozusagen vor Emotionen bzw. Hormonen überschäumen lässt. Sowohl biologisch als auch auf unbewusster Ebene werden wir zu unserer Vergangenheit. Wir glauben die alte Geschichte und verhalten uns so, als ob sie wahr wäre – bis wir schließlich zu dieser Geschichte werden.
Viele von uns verschreiben sich diesen Narrativen, den Geschichten der Vergangenheit, weil es für den Körper so unberechenbar ist, sich stattdessen unserer Zukunft zu verschreiben. Der Körper traut dem Unbekannten nicht. Er fühlt sich in den alten Geschichten wohl – und in all den identitätsstiftenden Gefühlen, die mit ihnen einhergehen. Ja er fühlt sich nicht nur wohl damit, er verlangt nach diesen Gefühlen.
Jedes Mal, wenn wir eine unserer Lieblingsgeschichten wieder einmal „aufwärmen“ – über uns selbst, über jemand anderen, über unsere Kindheit mit unseren Eltern und Geschwistern, über unsere Vergangenheit mit Krankheiten, Traumata oder dem Unrecht, das uns angetan wurde – versuchen wir in Wirklichkeit, die Emotionen zu verstärken, die wir mit diesen Geschichten und Erinnerungen verbinden.
Wir alle machen das; wir sind ja schließlich Menschen. Kannst du dich an eine kürzliche Erfahrung erinnern, die bei dir starke Gefühle hervorgerufen hat? Vielleicht war es eine Konfrontation mit jemandem auf der Arbeit oder eine beunruhigende Schlagzeile in den Nachrichten. Wahrscheinlich fällt dir ganz schnell dazu etwas ein, denn wir erleben solche Situationen andauernd.
Jetzt versuch dich an Folgendes zu erinnern: Wie bist du mit den aufkommenden Emotionen umgegangen? Hast du dich abgeschottet, überreagiert und zum Telefon gegriffen, um dich von deinen Gefühlen abzulenken? Hast du deine Gefühle ausgelebt und bist losgestürmt? Hast du unbewusst die erregte Energie aus deiner Meinungsverschiedenheit mit einer anderen Person auf deine/n Ehepartner/in übertragen?
Vielleicht bist du dir gar nicht bewusst, wie du in diesen Momenten reagiert hast. Aber dein Körper hat dich wahrscheinlich darauf programmiert, sich genau so zu verhalten, wie du es das letzte Mal eben getan hast, als du die gleichen Emotionen erlebt hast. Und je mehr sich der Körper an diese Gefühle gewöhnt, desto mehr verlangt er danach.
Mit anderen Worten: Solange deine Reaktion auf die gleichen Umstände dieselbe bleibt, bleibst du auch dieselbe Person. Und das gilt auch für deine Gesundheit. Und dein Leben.
Warum scheint es ein so radikaler Schritt zu sein, diese Geschichten loszulassen? Weil es bedeutet, dass wir unsere Identität aufgeben müssen. Es bedeutet, die Sucht nach den Emotionen loszulassen, die durch diese Geschichten angeheizt werden, und eine Bewusstseinsebene zu erreichen, die höher ist als die Ebene unserer unbewussten Programmierung. Und das erfordert ständige Aufmerksamkeit und Energie.
Es ist wichtig, all die Wege und Möglichkeiten zu erkennen, mit denen wir versuchen, dieser Herausforderung zu entkommen. Wir nutzen die Dinge in der 3-D-Welt nicht nur, um uns abzulenken; wir fixieren uns auf unsere Außenwelt. Wir sind darauf konditioniert, etwas oder jemanden zu brauchen, damit diese Gefühle verschwinden. Wir sind unbewusst daran gewohnt, uns darauf zu verlassen, dass unsere Außenwelt unsere Innenwelt verändert.
Und wenn wir nun eben diese Fähigkeit, uns auf etwas außerhalb von uns selbst zu fokussieren, auch nach innen richten könnten? Wenn wir unsere Abhängigkeit von einem Drama, Trauma oder Karma, das unsere Energie und Aufmerksamkeit aufzehrt, durchbrechen könnten?
Wenn wir uns also ebenso auf das fixieren könnten, was in uns vorgeht?
Was wäre, wenn wir lernen könnten, mit uns selbst und unserer eigenen Energie in Kontakt zu treten und uns unserer inneren Gedanken- und Gefühlswelt nicht nur bewusst zu werden, sondern von ihr fasziniert zu sein?
Die Arbeit besteht darin, uns dabei zu ertappen, wie wir ins Unbewusste verfallen, zu lernen, den Fokus auf unsere Innenwelt zu richten und unsere Aufmerksamkeit und Energie zu steuern. So lösen wir uns von unserem vergangenen Selbst. Und das ist ganz schön anstrengend – vor allem am Anfang.
Genau dabei geht es im Wesentlichen beim Meditieren – es ist eine Einladung, uns von all den Ablenkungen zu lösen, unseren Körper emotional zur Ruhe zu bringen und nach innen zu gehen. Herauszufinden, was sich hinter unseren am häufigsten auftretenden Gedanken, programmierten Gewohnheiten und vertrauten Gefühlen verbirgt.
Wenn du also das nächste Mal beim Meditieren sitzt und dein Körper anfängt, sich zu wehren – und das wird er bestimmt – dann achte darauf, was passiert. Denkst du daran, nach deinem Handy zu greifen? Spielst du einen Streit vom Vorabend noch einmal im Kopf durch? Kämpfst du gegen den Drang an, mit dem Meditieren aufzuhören?
Das ist der Moment, in dem wir einen Willen zeigen müssen, der größer und stärker ist als unsere unbewussten Programme. Das ist der entscheidende Moment, in dem wir unseren Körper auf einen neuen Geist konditionieren, ihn mit Liebe, Dankbarkeit und Freundlichkeit umtrainieren müssen.
Hier ist eine tolle Übung für solche Momente: Schau einmal, ob du dich darauf fixieren kannst, wie schwer es ist, Widerstand zu leisten. Schau, ob du dich davon faszinieren lassen kannst, dass du nicht in der Lage bist, bei dir selbst zu bleiben und weiter zu meditieren. Frage dich: Was ist auf der anderen Seite davon? Glaubst du daran, dass es sich lohnt, das herauszufinden? Konfrontiere dich mit dieser Frage – um das Unbehagen noch ein bisschen länger auszuhalten. Das ist die Suche nach dem Unbekannten.
Brauchst du etwas außerhalb von dir, um das Unbehagen zu beseitigen – oder findest du in dir die Ressourcen, um dir das zu geben, was du in diesem Moment brauchst?
Stell dir diese einfache Frage: Würde ich lieber Wut oder Freude empfinden? Wenn die Antwort Freude ist, musst du deine emotionale Verfassung ändern. Niemand sonst kann das für dich tun.
Womöglich kannst du deine Gefühle vorübergehend verändern, indem du dich auf jemanden oder etwas anderes verlässt. Aber wenn du das nächste Mal eine störende Emotion verspürst und deine Reaktion darauf nicht änderst, wird sich dein Gehirn daran erinnern, wodurch dieses Gefühl beim letzten Mal verschwunden ist – und dich davon überzeugen, dass du denselben Reiz brauchst, um es verschwinden zu lassen.
Wenn du es schaffst, den Verlockungen deiner Außenwelt – oder dem Widerstand deines Körpers gegen das Unbekannte – nicht nachzugeben und einfach an einen neutralen Punkt zu gelangen, erreichst du etwas wirklich Bedeutendes. Du begibst dich ins Unbekannte. Du zeigst, dass du Macht über deine Gedanken, Gewohnheiten und Gefühle aus der Vergangenheit hast. Jetzt lässt du dich auf den Wandel ein.
Und dann stell dir vor, was als nächstes kommt. Stell dir vor, du entdeckst durch dein Training, dass du transzendente Liebe und Freude empfinden kannst – weil du deinen Körper von den Fesseln der Vergangenheit befreit und dich entschieden hast, etwas anderes zu fühlen. Stell dir vor, du lernst, dass du deine Aufmerksamkeit nach innen lenken kannst, dein schlagendes Herz das Wichtigste und Bedeutendste überhaupt ist und du wahre Dankbarkeit und Liebe fühlst. Stell dir vor, du kannst eine Vorstellung loslassen, die du über dich oder eine andere Person hattest – und plötzlich frei sein.
Wenn wir zulassen, dass unser Körper uns in der vertrauten Vergangenheit festhält, lassen wir zu, dass der Körper uns von der Freiheit des Unbekannten abhält.
Der Körper kämpft darum, im Bekannten zu bleiben – selbst wenn das bedeutet, mit denselben Geschichten von Schmerz und Trauma zu leben, die uns ein Leben lang eingeschränkt haben. Aber das hält uns vom Mystischen ab. Es hält uns vom Magischen ab. Es hält uns von der Heilung ab. Und es hält uns davon ab, die unendlichen Möglichkeiten der neuen Zukunft zu entdecken, die wir erschaffen könnten.
Wann wird mit der alten Geschichte Schluss sein? Warum erzählst du dir nicht eine neue Geschichte über deine Zukunft – und glaubst daran, verhältst dich entsprechend und wirst stattdessen zu dieser neuen Geschichte?